Page 29 - Volkswohl Fürth - 100 Jahre
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Baugelände erworben werden konnte, ein
       Grundstück zwischen der Kaiser-/Ludwig- und
       Erhard-Segitz-Straße (bis 1925: Segitzstraße).
          Ungeachtet aller Hemmnisse war dennoch
       gegenüber der Vorkriegszeit eine Veränderung
       eingetreten, die dem Wohnungsbau in hohem
       Maße zustattenkam und als eine der bedeu-
       tendsten Zäsuren in dessen Geschichte gewer-
       tet werden kann. Die erste deutsche Republik
       wurde als moderner Sozialstaat aus der Taufe
       gehoben. Das schloss den Wohnungsbau ein,
       der erstmals in der deutschen Geschichte zu
       einer öffentlichen Aufgabe erklärt und mit Arti-
       kel 155 in die Reichsverfassung aufgenommen
       wurde. Dem lag die Einsicht zugrunde, dass der
       Bereich der Wohnungsherstellung nicht aus-
       schließlich dem Marktgeschehen überlassen  Zu den wichtigsten Trägern der Wohnbau-  Zeittypische Wohnküche
       werden konnte, sollten doch alle Bevölke-  förderung dieser Jahre stiegen die Städte und  der 1920er Jahre in einer
       rungskreise gleichermaßen Anspruch auf aus-  Gemeinden auf, die zudem per Reichsgesetz  der Kleinwohnungen der
       reichend bemessenen, hygienischen und  vom 12. Februar 1921 verpflichtet wurden, pro  Genossenschaft. Der
       bezahlbaren Wohnraum haben.            Einwohner mindestens 30 Mark zur Förderung  gekachelte Kochherd in
          Diese Wende in der Sozialstaatspolitik war  der Bautätigkeit aufzuwenden. Obgleich es  der Ecke diente gleich-
       auch der, im Vergleich zur Vorkriegszeit, größe-  unerheblich war, wer im Einzelnen der Bauträ-  zeitig als Heizung. Foto-
       ren Machtposition der Arbeiterbewegung in  ger war, also auch private Bauherren Unterstüt-  grafie 1920er Jahre.
       Staat und Gesellschaft zu verdanken. Selbst als  zung erhalten konnten, profitierten die Bauge-
       sich die politischen Kräfteverhältnisse nach  nossenschaften in beträchtlichem Maße von
       1924 wieder zuungunsten der Arbeiterparteien  der öffentlichen Hilfeleistung. Nach der Demo-
       verschoben, führte das zu keiner Kehrtwende  kratisierung des Wahlrechts dominierten viel-
       auf wohnungspolitischem Gebiet. Im Gegen-  fach sozialdemokratische Parteien in den
       teil, gerade in den Jahren einer relativen wirt-  Gemeinderäten, die es als ihre Pflicht ansahen,
       schaftlichen Stabilisierung entfaltete die Woh-  im Interesse der weniger begüterten Bevölke-
       nungsbaupolitik der Weimarer Republik ihre  rungsschichten gerade den gemeinnützigen
       größte Wirksamkeit. Insgesamt bewegte sich  Wohnungsbau zu fördern.
       der Prozentsatz der mit öffentlichen Mitteln  Auch im Fürther Stadtrat, wo nach der
       gebauten Wohnungen im Weimarer Staat zwi-  Stadtratswahl vom 15. Juni 1919 mit insgesamt
       schen beachtlichen 80 und 90 Prozent.  24 von 40 Sitzen ebenfalls Sozialdemokraten die
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