Page 32 - Volkswohl Fürth - 100 Jahre
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dert bestehende, aber noch längst nicht flä-  ersten Geschäftsjahres fiel daher gemischt aus.
                                      chendeckend erfüllte wohnungspolitische For-  Es habe »ausser ziemlich viel Arbeit […] auch
                                      derung nach einer abgeschlossenen Wohnung,  manchen Verdruss gebracht, aber der Gedanke,
                                      in der sich nicht mehrere Familien die Räume  unseren Mitgliedern schöne und preiswerte
                                      und eine Kochgelegenheit teilen mussten, war  Wohnungen zu erstellen und der hiesigen Woh-
                                      hier erfüllt, ebenso die sogenannte Funktions-  nungsnot abzuhelfen, hat uns hochgehalten.« 8
                                      trennung, also die Trennung von Wohnraum,  Dieser Optimismus trug die Genossenschaft
                                      Schlafzimmer(n) und Küche.             auch durch die folgenden Jahren, als sie höchst
                                         Das eigene Klosett war zu dieser Zeit keine  widriger Umstände zum Trotz unbeirrt weitere
                                      Selbstverständlichkeit, wenn auch eine Badein-  Bauvorhaben realisierte.
                                      richtung fehlte. Noch zu Beginn des 20. Jahr-
                                      hunderts fanden sich in fast der Hälfte aller  Die Gründungsjahre im Zeichen
                                      Fürther Wohnungen die Toiletten auf halber  der Inflation
                                      Treppe, wenn nicht sogar im Hof, ein Zustand,
                                      der sich zwanzig Jahre später nicht wesentlich  Die Geldentwertung beschleunigte sich,
                                      geändert haben dürfte. Einen weiteren beacht-  begünstigt durch verschiedene destabilisierend
                                      lichen Unterschied gegenüber der aus Rendite-  wirkende politische Ereignisse, seit 1922 weiter
                                      gründen oft viel zu dichten Bebauung eines  und eskalierte spätestens ab Januar 1923 zu
                                      Grundstücks durch private Bauherren stellte  einer gänzlich ungebremsten Hyperinflation.
                                      der große Innenhof dar, der nicht nur zum  Wie dramatisch die Ausmaße waren, veran-
                                      Wäschetrocknen genutzt werden konnte, son-  schaulicht die Entwicklung der Geschäftsantei-
                                      dern auch als Aufenthaltsort oder Treffpunkt  le bei der Volkswohl, die im Laufe dieses Jahres
                                      für die Mieterinnen und Mieter sowie als Spiel-  dreimal angehoben werden mussten, von 2.000
                                      möglichkeit für die Kinder.            auf 10.000 Mark im Februar, auf fünf Millionen
                                         Schon einen Monat später, im Juni 1922,  Mark im August bis zu der beinahe unvorstell-
                                      konnte ein drittes Haus, an der Erhard-Segitz-  baren Summe von drei Billionen Mark im
                                      Straße, mit weiteren acht Wohnungen überge-  November. Die Mark hatte ihre Funktion als
                                      ben werden. Mit dem Bau der Häuser in der  Zahlungsmittel fast vollständig eingebüßt, an
                                      Ludwigstraße 94 und 96 und Erhard-Segitz-  eine geregelte Baufinanzierung war kaum mehr
                                      Straße 22 in den Jahren 1921/22 war ein  zu denken, die Beschaffung von Baustoffen
                                      Anfang gemacht, wenngleich das Ergebnis hin-  wurde zu einem Glücksspiel: »An die Einhal-
                                      ter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben  tung von Lieferfristen hielt sich überhaupt nie-
                                      war und deshalb etwas enttäuscht konstatiert  mand mehr, bindende Abschlüsse kamen nicht
                                      werden musste: »,Den Bedürfnissen unserer  mehr zu stande. Eine Preissteigerung löste die
                                      Mitglieder konnte […] in gar keiner Weise ent-  andere ab. In den Monaten September und
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                                      sprochen werden.« Das Fazit zum Ende des  Oktober konnte man auf die Preissteigerungen
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